Dr.Edmund Berndt
Atterseestr.57
4860 Lenzing
Vizekanzler
Dr. Wolfgang Schüssel
Minoritenplatz 3,
1014 Wien Lenzing, am 02.10.1998
Betreff: Entsorgung ausrangierter Gesetzestexte, 3. Entsorgungslieferung nach dem „63. Nachtrag und Berichtigung der Gesetze und Verordnungen für die österreichischen ApothekerInnen“
Hochgeehrte Excellenz!
Zwei volle Monate mußten vergehen, ehe ich wieder das Vergnügen haben durfte, mich an der Arbeit meiner hochgeschätzten Regierung und ihrer Parlamentarier zu erfreuen. Immerhin, es ist festzuhalten, daß die prophezeiten Produktionsmengen an Gesetzen usw. und ihr Gewicht stimmen. Meine Anerkennung! Wie soll ich als seßhafter Bürger, der kaum Gelegenheit hat die Stätte der Steuererwirtschaftung zu verlassen, Ihre internationalen und europäischen Verdienste und Erfolge vor Ort würdigen, wenn ich nicht wie z.B die Journalisten hinfahren kann, davon nichts verstehe und nicht einmal Experte bin. So ist es gut, wenn man wenigstens von Zeit zu Zeit Gelegenheit hat, die Leistungen der Gesetzgebung durch das Einordnen immer wieder erneuerter Gesetze und Verordnungen etc. höchst persönlich zu erfahren; und wenn es auch nur im eigenen Fach ist.
154 g wog er diesmal, der „63. Nachtrag und Berichtigung der Gesetze und Verordnungen für die österreichischen ApothekerInnen“. Und ich bin ganz glücklich, Sie darauf aufmerksam machen zu können, daß nun auch das Binnen-I im Titel auf der Umschlagschleife verwirklicht wurde. Bitte überzeugen Sie sich selbst. Die Verpackung ist nun auch bis ins kleinste Detail politisch korrekt. Einfach p.c., Sie verstehen Excellenz! Ich habe es extra mit einem Rufzeichen versehen, damit Sie keine Mühe haben, zu erkennen, wie sinngemäß Gesetze und Verordnungen bis ins Kleinste eingehalten werden, und Ihr und Ihrer Kollegen Fleiß diesbezüglich nicht erlahmt.
In diesen Tagen wurde zu meinem Entsetzen Kritik von allerhöchster Stelle, nämlich von p.t. Adamovich, gegen allzu viele unverständliche Gesetze und sinnlose Verordnungen vorgebracht, weil die Bürger dies alles nicht mehr verstünden. Ich verstehe diese Kritik nicht. Unsere Gesellschaft ist doch bestens organisiert. Nichts wäre einfacher als den Staatsbürgern durch Wifi, Bfi und ähnlichen Experten-Institutionen die Gesetze näherzubringen.
Es einmal mit Lesestunden für Legislaturschmankerl zu versuchen, wäre sicher für die Volkshochschulen eine interessante Kontrast-Alternative. Zur Abwechslung mal nicht Türkränze basteln und Ostereier bemalen.
Vielleicht sollte man einen „Verein der Gesetzesfreunde“ ins Leben rufen. Die Mitglieder könnten dann mit Sonderausgaben oder mit Erstdrucken von Gesetzen beglückt werden. Ich glaube, daß dies nicht nur das Niveau der Stammtischdiskussionen anhebt, sondern auch einen ordentlichen Reibach abwirft. Denken Sie doch bitte an die Millionenprofite der Post mit Sonderbriefmarken, weil mit solchen Marken nie ein Brief frankiert wurde. Unabgeschleckt und unabgestempelt verschönern sie die Alben der Philatelisten. Und obendrein werden sie mit jedem Jahr immer wertvoller. Was ist etwa der Sammlerwert von irgendwelchen läppischen Gedenkmünzen obskurer Münzanstalten, verglichen mit einem unkorrigierten Bürstenabzug eines Sondergesetzes auf Elephantenpapier druckfrisch gerahmt? Hier gibt’s kein auf und ab wie beim Goldpreis!
Außerden erlaube ich mir anzumerken, daß ein Niederfahren der Gesetzesproduktion den Verlust tausender Arbeitsplätze in Kammern und Verbänden usw. bedeutet, wo tausende Menschen mit dem Deuten und Erläutern Ihrer und Ihrer Kollegen Parlamentsarbeit ihr Brot verdienen. Nur Dank der herausragenden Leistung dieser z.B. auch der zahlreichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Apothekerverlages, ist es mir möglich, mich so eingehend mit Ihrer und Ihrer Kollegen Leistung zu befassen. Sie sollten sich bei diesen Menschen für deren gewissenhafte Arbeit bedanken!
Und zu guter Letzt, woran soll man sich als Apotheker noch erfreuen, wenn einem nicht einmal mehr Gesetze gemacht werden? Zunehmend werden wir in die Bedeutungslosigkeit gelobt und den Interessen allmächtigerer Berufsgruppen untergeordnet, die mit der Drohung, unter widrigen Umständen das Leben zumindest eines ängstlichen Politikers möglicherweise nicht mehr retten zu können, noch jedes Standesinteresse durchgesetzt und jede Reform weitgehend verhindert haben.
Da ist es doch Balsam zu wissen, daß uns immer noch, und aller Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft, viele Verordnungen und Gesetze wenigstens eine letzte Bedeutung vermitteln, und ich so erleben kann, daß sich die Obrigkeit immer noch wirklich um mich sorgt. Darauf möchte ich nicht verzichten!
Mit dem nach den Gesetzen geziemender Hochachtung!
Dr. Berndt, Apotheker und Untertan
p.s.
Daten zur Statistik: 61. Nachtrag 117,9g
62. Nachtrag 163,5g
63. Nachtrag 154,0g relevantes Gesetzpapier
Anlage: 1 Packerl alter Gesetzesblätter zur Durchsicht und Entsorgung