Dr. Edmund Herbert Johannes Berndt
Atterseestr.57
4860 Lenzing
Bundeskanzler
Dr. Wolfgang Schüssel
Ballhausplatz 2
1014 Wien Lenzing, am 14.1.2000
Betreff: Entsorgung ausrangierter Gesetzestexte
9. Entsorgungslieferung nach dem „70. Nachtrag und Berichtigung der Gesetze und Verordnungen für die österreichischen ApothekerInnen" Jänner 2000
Hochgeehrte Exzellenz!
Mitten im Interregnum, unter der Bildung einer neuen Regierung, ließ man die ApothekerInnen nicht auf Verordnungen und Gesetze warten. Nein, noch vor Ihrer aufsehenerregenden Ernennung zum neuen Bundeskanzler, zu der ich Ihnen untertänigst, nicht ohne eine gewisse Genugtuung, gratulieren darf, durfte ich noch im Jänner des neuen Milleniums gewichtige 193,5g vorschriftiges Papier entgegennehmen. Alle Achtung, wer hätte gedacht, daß trotz schwierigster Regierungsbildungsverhandlungen allernotwendigste Gesetze und Verordnungen ohne jeden zeitlichen Verzug und ohne Schmälerung des Umfangs, quasi wie am Fließband, als ob sonst nichts passierte, produziert werden. Das nenne ich Routine. Nur Ignoranten und Laien argwöhnen, daß diesmal womöglich eh nichts besonderes beschloßen worden wäre. Ich darf Ihnen versichern, daß ich, wie immer, von der Notwendigkeit und der Qualität jedes einzelnen Buchstabens restlos überzeugt bin.
Die nunmehr zwingend notwendige Installation eines Betriebsarztes, offenbar gibt’s zu viele arbeitslose Mediziner, legt den Gedanken nahe, vielleicht doch noch eines Tages die Stelle eines Parlamentspsychiaters auszuschreiben. Die unnatürliche Spannung in den Gesichtern der Parlamentarier während der Werbesendung für das Parlament „Hohes Haus“ spräche auch dafür.
Zu Ihrer Information darf ich Ihnen mitteilen, daß es immer noch Pharmazeuten gibt, die gegen den Zeitgeist werken und versuchen, sich den Scheinarzeimitteln eines „Pfr.“ Weidinger und eines „Prof.“ Bankhofer zu widersetzen. Ich hoffe, daß die neuesten Papiere wiederum ein klein wenig diese unerwünschten Aktivitäten einengen werden. Arzneimittelthemen sind ja ohnehin eines der Liebkinder des Journalismus. Nun werden die Arzneipreise wieder als Ursache Nr. 1 des Krankenkassendefizits gehandelt. Eine feine Sache, um sich einmal mehr um die wirklich anstehenden Reformen herumdrücken zu können.
Die Gebietskrankenkassen gehen immer noch mit gutem Beispiel voran. Sie müssen wissen, Excellenz, daß sich die akademischen Hände der Chefärzte, die im Volksmund böswillig auch Büroärzte genannt werden, bis jetzt nur ca. an die 60.000 Rezepte pro Woche zur Heilung und Linderung der Krankheiten genehmigend stempeln. Diese Vorkontrolle mit dem Charakter einer Armgymnastik, die durch weitgehende Abwesenheit der Erkrankten nicht weiter kompliziert wird, sichert preiswert Arbeitsplätze und könnte noch erweitert werden. Diese menschliche Komponente neben der exakten orwellinischen Computertotalerfassung jedes einzelnen Rezeptes nach Arzt und Patient (!) bei der Abrechung sollte uns schon etwas wert sein und verdient es erhalten zu werden. Wo kämen wir hin, wenn dieser hocheffiziente Genehmingungstrara womöglich mittels telephonischen Faxsimiles oder per E-mail und Internet rationalisiert werden würde und ad hoc auch am Samstag erledigt werden würde? Äsculap sei Dank, die Datenschützer werden das sicher verhindern. Die Chipkarte jedenfalls wurde so erfolgreich, wie ich mir schon bei der Einführungsankündigung zu vermuten erlaubt habe, zur gewöhnlichen Visitenkarte mit Serviceflair aufgewertet. Zur Verbesserung schlage ich vor, diese antibakteriell und virucid zu beschichten
Auch möchte ich meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, daß der neue Gesundheitssprecher der Regierung wiederum ein Arzt geworden ist, und damit auch in Hinkunft die Tradition erhalten bleibt, Gesundheit vornehmlich im Lichte ärztlicher Standespolitik zu sehen und aus der Vorteilsperspektive der Mediziner zu interpretieren.
In diesem Sinne und in Erwartung vieler neuer Gesetze und Vorschriften erlaube ich mir diesen Begleitbrief zu beenden, und ich hege alle Hoffnung, daß Sie nunmehr mit Ihrer neuen Regierung und mit Hilfe der neuen Koalitionspartner verstärkt an die Endlösung der Apothekenfrage herangegangen wird.
Mit gesetzlich geziemender Hochachtung!
Dr. Berndt, Apotheker und Untertan
p.s. Sicher haben Sie bemerkt, daß ich mir erlaubt habe, im Briefkopf meinen vollen Namen anzuführen. Ich darf Sie bitten, dafür Verständnis aufzubringen. Nicht, daß ich darauf besonders erpicht wäre und bei jeder Gelegenheit so auf meiner Identität beharrte, aber die neuen EU-Pässe erlauben es mir nicht mehr, meinen Namen vollständig verbürgt zu bekommen, denn es wird einfach irgend ein Vorname von der Passbehörde aus Platzmangel gestrichen. Es wäre aber sehr nett, wenn Sie sich dafür einsetzen könnten, daß vielleicht einmal in den nächsten Pässen etwas mehr Platz für Vornamen geschaffen wird, damit man wenigstens, wenn man schon sonst nichts hat, seinen Namen tragen kann.
Daten zur Statistik: 61. Nachtrag 117,9g
62. Nachtrag 63,5g
63. Nachtrag 154,0g
64. Nachtrag 91,1g
Jahresproduktion 1998 526,5g
65. Nachtrag 145,3g
66. Nachtrag 202,4g
67. Nachtrag 115,9g
68. Nachtrag 116,9g
69.Nachtrag 190,5g
Jahresproduktion 1999 770,1g
70. Nachtrag 193,5g
Anlage: 1 Packerl alter Gesetzesblätter zur Durchsicht und Entsorgung