Dr. Edmund Berndt
Atterseestr.57
4860 Lenzing
Bundeskanzler
Dr. Wolfgang Schüssel
Ballhausplatz 2
1014 Wien Lenzing, am 6.5.2000
Betreff: Entsorgung ausrangierter Gesetzestexte
10. Entsorgungslieferung nach dem „71. Nachtrag und Berichtigung der Gesetze und Verordnungen für die österreichischen ApothekerInnen" Mai 2000
Hochgeehrte Exzellenz!
Nach mehr als 100 Tagen Ihrer neuen Regentschaft erfaßte mich plötzlich eine zunehmende innere Unruhe. Irgend etwas hemmte den Arbeitsdrang. Etwas Wesentliches fehlte zum Glück und zur Zufriedenheit. Nach sorgfältigen Nachdenken fand ich die Ursache des Übels. Ich vermißte nichts weiter als neue Gesetze und Verordnungen. Aber meine Sorge und Unruhe war schlagartig beendet, als 335,7g Gesetzestexte per Expressdienst gerade noch mit Monatsende Mai herein kamen. Die reinste Maiwonne; und ein neuer Rekord! Die schwerste Einzellieferung überhaupt, seit ich mir gestatte, die Resultate Ihrer und Ihrer Kollegen Arbeit in Regierung und Parlament, die mich beruflich betreffen, zu quantifizieren. Den Heiligen Cosmas und Damian sei Dank! Wie konnte ich auch nur an der immerwährenden und fortlaufenden Gesetzesschöpfung zweifeln?
Nun, so darf ich Ihnen berichten, daß sich die Produktion von Gesetzen und Verordnungen nicht unerfreulich entwickelt. Eine unverkennbare Steigerung der Dynamik ist in der Statistik der Gesetzschöpfung ohne mathematische Kunstgriffe deutlich zu erkennen. Immerhin sind bereits jetzt zur Halbzeit 2000 um exakt 2,7g mehr an Gesetzen und Verordnungen erarbeitet und gedruckt worden als im gesamten Jahr 1998(!). Wenn das so weitergeht, und nichts deutet auf ein Nachlassen hin, so könnte heuer die magische Kilogrenze auch noch geschafft werden, was dann einer linearen jährlichen Steigerung der Produktion um 250g pro Apotheke entspricht. Wacker, wacker, und das in diesen schwierigen Zeiten der Antiregierungsdemonstrationen und EU-Sanktionen. Da können sich Handel und Gewerbe wirklich ein Beispiel nehmen.
Aber, wir Apotheken haben uns dieses Extra-Plus an Gesetzen und Verordnungen auch wirklich verdient, denn neben den althergebrachten im Rezeptabrechnungssystem gesetzlich eingebauten begünstigten Krankenkassensonderpreisen und Rechnungsnachlässen konnten nur durch ein zusätzliches Refaktiemodell, unseren Solidaritätsbeitrag und durch eine erneute Spannenkürzung –aller guten Dinge sind bekanntlich drei- erfolgreich die bislang gefährlichsten Attacken auf die Spitalsdefizite abgewehrt werden und ein drohender unsolidarischer Kahlschlag im Funktionärswald der Krankenkassen und Sozialversicherungen verhindert werden.
So können die Chefarztbrigaden munter weiter akadamisch Rezepte stempeln, und die erfolgreich entsorgten Günstlinge der diversen Interessensvertretungen dürfen aufatmen und sich den Angstschweiß von den Stirnen wischen. Die Funktionärsversorgungswirtschaft ist gerettet, und die Reform des Gesundheitswesen zur Freude der als Gesundheitssprecher etc. getarnten Interessensvertreter erfolgreich abgewendet.
In diesem Sinne soll sich Regierungskollege Exzellenz Bartenstein ebenfalls kostendämpfend und reformfreudig betätigen. So wird aus der Branche der Pharmaberater hinter vorgehaltener Hand berichtet, daß „seine“ Pharmafirmen, die hausapothekenführenden Ärzte mit 100 plus 100 und 100 plus 200 Naturalrabatten in Generika verwöhnen! Wohlgemerkt die Ärzte und nicht die kranken Kassen. So läßt sich verhindern, daß die Sozialversicherungen nicht zu viel und die Ärzte nicht zu wenig gewinnen; also alles beim alten bleibt. Der guten Ordnung halber muß ich anmerken, daß Kollege Exzellenz sicher juristisch einwandfrei mit „seinen“ Firmen, die vornehmlich billige patentabgelaufene no-name-Arzneimittel produzieren, genausowenig zu tun hat, wie seinerzeit Exkollege Finanzminister mit seiner Steuerberatungskanzlei. Letzterer erfreut sich übrigens neuerdings wachsender Beliebtheit, und es ist zu hoffen, daß Ihr Kollege, pardon seine Firma, mit solchen Schleuderaktionen nicht baden geht, sondern zum erfolgreichen national und global Player mutiert, und er uns kleinen Leuten dann auch etwas von seinem Überfluß spendieren kann.
Ja, ja der Bartl wird schon wissen, wo er die Trauben einheimst und wem er den Sekt schenkt.
Mit zunehmender Hochachtung
Dr.Berndt
Daten zur Statistik:
61. Nachtrag 117,9g
62. Nachtrag 63,5g
63. Nachtrag 154,0g
64. Nachtrag 91,1g
Jahresproduktion 1998 526,5g
65. Nachtrag 145,3g
66. Nachtrag 202,4g
67. Nachtrag 115,9g
68. Nachtrag 116,9g
69.Nachtrag 190,5g
Jahresproduktion 1999 770,1g
70. Nachtrag 193,5g
71. Nachtrag 335,7g
Jahresproduktion 2000 bis dato 529,2g
Anlage: 1 Packerl alter Gesetzesblätter zur Durchsicht und Entsorgung